weitere Reiseberichte
Chaisa-Seite

Chaisa/Sambia und Simbabwe 1998


Chaisa ist ein sehr armer Stadtteil der sambischen Hauptstadt Lusaka. Die St. Norbert-Gemeinde in Lünen (NRW) hat seit 1996 eine Partnerschaft mit der Gemeinde Divine Mercy of God in Chaisa. 1998 fuhr ich mit einer Delegation unserer Gemeinde in den afrikanischen Ort. Hier ein Reisebericht:

Am 8. Juni war es soweit: Die Delegation der St. Norbert-Gemeinde, bestehend aus der Pfarrgemeinderatsvorsitzenden Monika Meyer, Hedwig Steinkuhl, die ebenfalls Mitglied des Pfarrgemeinderates ist, sowie Alexander Klitz und mir, als Vertreter der Jugend St. Norbert, machte sich auf den Weg nach Sambia. Bis zum Düsseldorfer Flughafen wurden wir von sechs weiteren Gemeindemitgliedern, darunter Pfarrer Klaus Hageböck, begleitet. Nachmittags hob dann der Flieger ab, und am nächsten Morgen betraten wir, nach Zwischenlandung in London und Harare (Simbabwe) afrikanischen Boden im Lusaka International Airport.
Am Flughafen warteten schon Father Romuald, der Pfarrer von Chaisa, und vier kleine Mädchen in ihren besten weißen Kleidchen und überreichten uns zur Begrüßung Rosen. Von draußen hörten wir Trommelklänge und Gesang: Auch der Gemeindechor war gekommen, um uns mit Willkommensliedern und Tänzen zu empfangen, in die wir uns gleich einreihten. Die Menschen aus unserer Partnergemeinde empfingen uns mit einer für Europäer kaum vorstellbaren Begeisterung und Freude, die uns ganz sprachlos machte. Father Romuald formulierte es treffend: "Forget about Europe. You are in Africa now."
Mit einem Bus und mehreren Autos fuhren wir dann zum Pfarrheim von Mandevu, Chaisas Nachbargemeinde, wo wir wohnen sollten, denn Chaisa selbst hat kein Gemeindehaus. Auf dieser Fahrt realisierten wir Stück für Stück, daß wir Europa verlassen und die Dritte Welt betreten hatten. An der Flughafenstraße standen noch große Plakate, die Sambia ausländischen Investoren anpriesen oder das Gesicht von Präsident Chiluba zeigten, wir verließen jedoch bald die reicheren Gegenden und kamen in die Elendsviertel, die sogenannten Compounds, zu denen auch Chaisa und Mandevu zählen. Father Romuald, der in Mandevu wohnt, ist neben Chaisa auch noch für Mandevu und eine weitere Gemeinde im Westen von Lusaka, Kazimva, zuständig. In Sambia herrscht akuter Priestermangel, und so hat der polnische Missionar nicht nur für das Seelenheil von etwa 30000 Christen zu sorgen, sondern engagiert sich auch in vielen weltlichen Angelegenheiten wie Schulbildung und Gesundheit, wie wir in den kommenden Wochen feststellen sollten.
Am nächsten Tag begann schon unser volles, aber sehr abwechslungsreiches Programm. Wir besuchten die Pre-School (Vorschule) auf dem Chaisagelände, die erst vor einigen Monaten eröffnet worden ist und überbrachten Geschenke des Kindergartens St. Norbert. Auf Anregung von Father Romuald entschieden wir, daß das von den Kindern der Kardinal-von-Galen-Schule am 16. Mai auf den Schulfest erlaufene Geld für Ausstattung und Lehrmaterial investiert werden solle. Bis jetzt befinden sich in dem Klassenraum nämlich nur einige Holzbänke, sowie ein Tisch und ein Stuhl für die Lehrerin.
Danach stand für uns ein Besuch beim Erzbischof von Lusaka, Medardo Mazombwe, auf der Programm. Dieser nahm sich viel Zeit für die Besucher aus dem fernen Deutschland und zeigte sich erfreut darüber, daß wir Chaisa unterstützen. Er hatte vor zwei Jahren den früheren Teil der Mandevu-Gemeinde, der in der letzten Zeit stark gewachsen ist, zu einer eigenständigen Gemeinde, "Divine Mercy of God", erklärt. Bei Tee und Kuchen besprachen wir dann den Plan des Erzbischofs, die von uns mitgebrachten Spenden der St. Norbert Gemeinde in den Bau eines Schwesternhauses mit Kapelle anzulegen. Die Schwestern wären dann neben der pastoralen Arbeit auch für eine einfache medizinische Versorgung und die Schule zuständig. Lediglich die Messen würde der Pfarrer aus Mandevu halten. So könnte sich das Gemeindeleben der Menschen von Chaisa auf ihrem eigenen Gelände abspielen, wo dann ständig jemand präsent wäre. Bis jetzt müssen sie dafür immer nach Mandevu kommen.
Abends trafen wir dann das Leiterteam des Gemeinderates von Chaisa und Mandevu und überreichten dem Vorsitzenden Dominic Kunda die zwei Schecks aus Lünen: Das Geld der Kardinal-von-Galen-Schule für die Pre-School und Spenden aus der Gemeinde als ersten Teil der Finanzierung des geplanten Schwesternhauses von Chaisa. Die Freude der Gemeindevertreter darüber war groß, doch sie sagten uns, daß unser Besuch für sie ein ebenso großes Geschenk sei. Auch bei vielen weiteren Treffen mußten wir immer wieder feststellen, wie glücklich diese armen Menschen in den Slums waren, daß wir reichen Europäer uns für sie und ihre Sorgen interessierten und uns dafür auf den weiten Weg nach Sambia gemacht haben.
Am Donnerstag hatten Alexander und ich zum ersten Mal die Gelegenheit, den Markt von Lusaka zu besuchen. Jozef, der Vorsitzende der Mandevu-Jugend, begleitete uns in die Stadt. Dabei benutzten wir die "öffentlichen Verkehrsmittel": Kleinbusse, die man sich heranwinkt, wenn man mitfahren möchte. Wir zwängten uns mit siebzehn anderen Menschen in ein Auto, in dem in Deutschland nur neun fahren. "Der Fahrer muß aufpassen, daß die Polizei ihn nicht erwischt", erkläre uns Jozef, "denn erlaubt sind nur fünfzehn."
In der Stadt stellten wir dann fest, daß nicht nur die Preise für Luxusartikel wie Fernseher oder Radios ziemlich hoch sind, sondern auch die Lebensmittelpreise in etwa auf dem Niveau von Deutschland liegen. So hat eine normale Familie mit sechs bis acht Kindern jeden Tag zu kämpfen, um satt zu werden, denn das durchschnittliche Monatseinkommen liegt unter 100 Mark. Meistens gibt es nur eine Mahlzeit am Tag, die dann aus Nshima besteht: Maismehlknödel, die eigentlich nach nichts schmecken, aber zumindest einigermaßen sättigen und noch erschwinglich sind. Durch diese einseitige Ernährung treten natürlich häufig Mangelerkrankungen auf, doch auch für eine medizinische Behandlung fehlt den meisten Leuten in Sambia das Geld.
Zurück im Mandevu-Gemeindezentrum hatten Alexander und ich gleich zu tun: Wir mußten beim Treffen mit der Frauengemeinschaft (Catholic Women Organisation) für Monika und Hedwig übersetzen, die in der englischen Sprache nicht mehr so geübt sind. Nachdem die Frauen von Chaisa und Mandevu für uns ein Laien-Theaterstück aufgeführt hatten, überreichten sie Monika und Hedwig je einen Rock und ein Hemd in den Farben ihrer Organisation und nahmen die beiden feierlich in ihre Gemeinschaft auf. So wurde die Partnerschaft zwischen Chaisa und St. Norbert weiter gefestigt.
Früh ging es auch am nächsten Morgen wieder los. Romuald fuhr mit uns nach Kasisi, einer etwas weniger armen Gemeinde von Lusaka. Dort fand die Beerdigung einer polnischen Ordensschwester statt, die über sechzig Jahre in Sambia gearbeitet hatte. Und wieder einmal war die afrikanische Musik überall zu hören, die Menschen tanzten und sangen. Für uns ungewohnt zu solch einem Anlaß, aber irgendwie doch passend und angenehm.
Am Nachmittag machten wir uns auf den Weg nach Lusaka-Chawama, um die polnische Ordensschwester Judyta Bozek zu besuchen. Sie leitet ein Altenheim, das eine Partnerschaft mit dem Altenheim St. Norbert hat. In nur vier Jahren hat Schwester Judyta dort mit einigen Mitschwestern und Arbeitern ein recht einfaches, aber sehr beschaulichs Heim für alte Menschen aus dem Boden gestampft. Die Räume sind nur mit Wellblechdächern vor Sonne und Regen geschützt, doch die liebevoll angelegte Grünanlge lädt bei schönem Wetter zum Spazieren oder Sonnen ein. Von der Regierung bekommen die Schwestern für das Heim praktisch nichts. Sie versuchen, durch den Garten und Hühnerhaltung nicht nur sich, sondern auch die alten Menschen durchzubringen. "Was wir tun, ist ein Tropfen im Ozean. Aber auch Ozean besteht nur aus vielen Tropfen", beschreibt Schwester Judyta, wie sie das Altenheim in kleinen Schritten aufgebaut haben. Wir machten auch unseren Beitrag dazu und übergaben die Spenden des Nordlüner Altenheims an die Schwestern.
Am Samstag stand dann ein Treffen mit dem Gemeinderat auf dem Programm, doch als wir das Gemeindegrundstück von Chaisa (Chaisa Plot) betraten, warteten schon einige hundert Menschen auf uns. Während die Sambier alle auf Holzbänken in der prallen Sonne saßen, führte man uns zu Stühlen auf einem Podest, das sogar überdacht war. Hier hält der Priester gewöhnlich die mehrstündigen Messen, doch uns war es schon ein wenig unangenehm, so hoch über die Schwestern und Brüdern unserer Partnergemeinde gestellt zu werden. Aber wir waren ja Ehrengäste, und die verschiedenen Theatergruppen und Chöre wetteiferten, uns mit ihren Darbietungen zu beeindrucken. Wenn uns die Vorsitzenden des Gemeinderates nicht nach einiger Zeit in die Räume der Pre-School geführt hätten, dann hätte man wohl noch bis in die Nacht für uns gesungen und getanzt. Allerdings wollte uns, bevor wir gingen, wirklich jeder, von den Kleinsten bis zu den ganz Alten, die Hand schütteln.
Drinnen wurden wir dann den Vertretern Chaisas aus dem gemeinsamen Gemeinderat von Chaisa und Mandevu vorgestellt. Die vor zwei Jahren von Mandevu unabhängig gewordene Gemeinde "Divine Mercy of God" von Chaisa ist in 15 kleine christliche Gemeinschaften, sogenannte Sektionen, unterteilt, die je ein Mitglied des Gemeinderates wählen. Nach einer angeregten Unterhaltung stand dann ein Essen auf dem Programm, das erwartungsgemäß aus den traditionellen Maismehlknödeln, Nshima, bestand. Für uns gab aber noch eine Reihe Beilagen wie zerhackte Kürbisblätter und sogar gebratentes Hühnchen. Normalerweise sind die Mahlzeiten in vielen sambischen Familien wohl nicht so reichhaltig, wie wir an der Begeisterung erkannten, mit der die Anwesenden das Essen verzehrten. Wir folgten der dortigen Eßtradition, indem wir die Knödel in der Hand kneteten, bis sie weich wurden, und damit die Soße oder die Blätter aufnahmen.
Nach dem Essen standen auch schon die Vertreter der Chaisa-Gruppe I vor der Tür, um uns mitzunehmen. "Eigentlich wollte jede der 15 Sektionen von Chaisa für euch ein Programm machen", erklärte uns Father Romuald, "aber soviel Zeit habt ihr gar nicht. Deshalb habe ich Chaisa in drei Gruppen zu fünf Sektionen eingeteilt." An der Seite von Christopher und Peter, die wir schon kennengelernt hatten, verließen wir dann den Chaisa Plot und wanderten durch die engen Gassen der Compounds (Slums). Wir sahen die winzigen "Häuser", in denen Familien mit zehn oder noch mehr Mitgliedern hausen, "Toiletten", die nur aus einem Loch im Boden bestehen und undefinierbare, unangenehm riechende Rinnsale: Die örtliche "Kanalisation". Kinder in zerrissenen Kleidern spielten in dem allgegenwärtigen Staub, ein kleiner Junge versuchte, seinen aus Müll gebastelten Drachen zwischen den Hütten fliegen zu lassen. Obwohl wir diese Eindrücke gerne auf Bildern festgehalten hätten, wagten wir es nicht, das Elend der Leute dort zu fotografieren.
Manchmal wurden wir schon skeptisch oder überrascht angestarrt, ein Kind zeigte auf uns und rief mit großen Augen: "Msungu (Weißer)". Normalerweise verirrt sich kein Europäer in diesen Teil von Lusaka, doch in Begleitung unserer Freunde brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Wir wurden zu einer der besseren Hütten gebracht und mußten uns auf einer Art Veranda hinsetzen, wieder einmal erhöht - was wir eigentlich gar nicht wollten -, während sich hunderte, neugierig blickende Slum-Bewohner auf dünnen Bastmatten auf dem staubigen Boden niederließen. Nach dem obligatorischen Gebet, das vor und nach jedem Treffen und jedem Essen gesprochen wird, bot uns auch diese Chaisa-Gruppe ein Programm aus Gesang, Tanz und Theater. Trotz ihrer Armut hatten die Menschen sogar noch Geschenke für uns gekauft, und wieder einmal wurden wir zum Essen gebeten. Die Gastfreundschaft der Afrikaner war einfach überwältigend, fast beschämend für uns Europäer, und wir konnten eigentlich gar nicht oft genug "Zikomo kwambiri (Danke schön)" zu diesen Leuten sagen. Auch hier galt es wieder, eine unglaubliche Anzahl an Händen zu schütteln, und auf dem Weg zurück zum Pfarrheim wurden wir von einer großen Menschenmenge, vor allem von Kindern begleitet.
Am Abend bat uns Father Romuald, den wir meistens liebevoll Rommy nannten, ihm beim Zählen der Kollekte zu helfen. Diese bestand fast aussschließlich aus 20- und 50-Kwacha-Scheinen (2 bzw. 5 Pfennig), so daß wir mit den gut 3000 abgegriffenen Geldscheinen der Sonntagskollekte noch nicht einmal auf 100 DM kamen. Von diesem Geld muß Rommy seinen Lebensunterhalt und die Ausgaben der Gemeinde, inklusive der Löhne für alle Angestellten, bestreiten, eine Aufgabe, die ohne Spenden aus dem Ausland praktisch nicht gelöst werden kann.
Der Fronleichnamsgottesdienst, der in Sambia sonntags und nicht donnerstags gefeiert wird, fand unter freiem Himmel auf dem Gelände einer Grundschule statt, wo mehrere tausend Menschen versammelt waren. Die europäische Struktur der Messe war vermischt mit traditionellen afrikanischen Traditionen wie Trommelmusik, Gesang und Tanz. Besonders schön fanden wir eine Mädchentanzgruppe, die durch Gesten und Formationen die Bedeutung der Lieder darstellte. Am Sonntag durfte ich auch zum ersten Mal predigen, wenn ich auch nur Monikas Predigt ins Englische übersetzte. Wir erzählten den Leuten, daß in St. Norbert in diesen Tagen die zweijährige Partnerschaft unserer Gemeinde mit Chaisa gefeiert würde. Der Kontakt war beim Besuch der damaligen Pfarrgemeinderatsvorsitzenden, Margret Mwula, in Lünen geknüpft worden. Die Brüder und Schwestern in unserer Partnergemeinde hoffen wie wir, daß dieser Kontakt noch lange bestehen bleibt, denn wir haben gemerkt, daß wir viel voneinander lernen können.
Montags waren wir dann bei der zweiten Chaisa-Gruppe eingeladen, die uns ebenfalls einen tollen Empfang bot. Obwohl wir inzwischen schon an einigen Treffen teilgenommen hatten, machte uns diese Gastfreundschaft und Herzlichkeit immer wieder sprachlos. Bei dieser Gruppe schienen die Leute, allen voran die Kinder, sogar noch begieriger zu sein, uns einmal die Hand zu geben oder gar mit uns fotografiert zu werden, so sehr freuten sie sich über den Besuch aus Deutschland. Erneut wurden wir beschenkt und zum Nshima-Essen in ein Haus gebeten. Als wir die Gemeindevertreter fragten, in wessen Haus wir uns eigentlich befänden und wer für uns gekocht habe, kam zögerlich eine Frau aus dem Hinterzimmer. Sie hatte es erst nicht gewagt, mit den berühmten Europäern an einem Tisch zu sitzen. Wir wollten aber nicht immer über unsere Gastgeber und Freunde aus Chaisa gestellt werden, baten sie, sich zu uns zu gesellen. Als ihr Ehemann dann nach Hause kam, waren die beiden dann auch ganz begierig, mit uns fotografiert zu werden, als Andenken an die Lüner, die bei ihnen gespeist hatten.
Nach diesem Treffen verließen wir Chaisa und den allgegenwärtigen Müll, überschritten die Grenze zu Mandevu, einen kleinen Bach, auf einer "Brücke" aus Abfällen. Dieser Bach schwillt in der Regenzeit zu einem Fluß an, der vor allem für Alte und Kinder schwer zu überqueren ist, und die so nicht mehr zur Kirche nach Mandevu kommen können. Auch deshalb ist den Bewohnern von Chaisa der Aufbau ihres eigenen Gemeindezentrums so wichtig.
Im Pfarrheim stand dann das WM-Spiel Deutschland - USA auf dem Programm, der fanatische Fußballfan Romuald hatte unseren Terminplan genau auf die Begegnungen des deutschen Teams abgestimmt, die sogar von dem einzigen sambischen Fernsehsender ZNBC übertragen wurden. Alexander und ich hatten nicht damit gerechnet, hier in Sambia die WM-Spiele zu sehen, und hatten deshalb auch keine Fahnen, Schals oder sonstigen Fanartikel dabei. "Die Sambier können sich auch nicht alles kaufen, sondern basteln es sich selber", sagten wir uns, und so saßen wir pünktlich zum Anpfiff mit schwarz-rot-goldenem Outfit und aus T-Shirts, Handtüchern und Pullovern gebastelten Deutschlandfahnen vor dem Fernseher. Romuald machte große Augen, aber unser Eifer schien sich gelohnt zu haben: Die deutsche Elf gewann 2:0.
Livingstone hieß unser Ziel am nächsten Morgen, denn dort sind die berühmten Victoriafälle, das Wahrzeichen Sambias. Daß der Ort an der Grenze zu Simbabwe, 550 Kilometer von Lusaka entfernt liegt, spielte für Father Romuald keine Rolle. "Wer aus Europa nach Sambia kommt, der muß die Victoriafälle sehen", stand für ihn fest, und so machten wir uns morgens mit seinem Auto auf den Weg. Monika und Hedwig saßen vorne bei Rommy im Führerhaus des Pickups, Alexander und ich, sowie Towela, ein Mädchen aus Kazimva, machten es uns hinten auf der Ladefläche bequem. Wir hatten noch vergleichsweise viel Platz, oft fahren auf diese - in Sambia sehr verbreitete - Weise zehn bis fünfzehn Leute mit einem Auto.
Über das Wetter konnten wir uns nicht beklagen, obwohl in Sambia Winter herrschte, es war Trockenzeit und tagsüber angenehm warm. Doch bei 140 km/h war es durch den Fahrtwind hinten auf dem Wagen unerwartet kühl, so daß wir uns sogar in den Tropen eine leichte Erkältung einfingen. Nichtsdestotrotz waren wir nachmittags gutgelaunt an den gigantischen Victoriafällen. Mit 108 Metern Höhe sind sie die zweithöchsten und wahrscheinlich gigantischsten Wasserfälle der Welt. Sie erstrecken sich über eine Breite von zwei Kilometern, davon sahen wir von sambischer Seite aus gerade mal ein Drittel. "Ihr müßt die Fälle nicht nur anschauen", sagte uns Romuald, "ihr müßt sie auch spüren." So gingen wir über die Knife Bridge auf eine "Insel" kurz vor den Wasserfällen, wo wir durch das spritzende Wasser völlig durchnäßt wurden aber sehr nah an die tosenden Wassermassen herankommt. Dies sollte auch der einzige "Regen" sein, den wir in unserern drei Wochen in Sambia erlebten. Ein bißchen nachdenklich machte uns allerdings schon, daß viele Leute aus Chaisa und Lusaka noch niemals an den Victoriafällen ware, obwohl sie schon ihr ganzes Leben in Sambia wohnen.
Nachdem wir uns an diesem gigantischen Naturschauspiel und den fast immer zu sehenden Regenbogen einigermaßen sattgesehen hatten, fuhr uns Romuald noch durch den nahegelegenen Wildpark, wo wir freilaufende Giraffen, Zebras und Antilopen beobachten konnten. Das ist irgendwie auch ein Muß für einen Afrikabesuch, und als wir am nächsten Tag wieder zurückfuhren, sagten wir uns, daß dieser kurze "Urlaub" ganz gut getan hatte.

Denn am donnerstag morgen trafen wir uns mit der Home Based Care-Gruppe, deren Mitglieder - zum allergrößten Teil Frauen - ehrenamtlich für Kranke und Sterbende in der Gemeinde sorgen, die sonst niemanden haben. Die Prozentsatz der HIV-Infizierten ist in Sambia einer der höchsten der Welt (25 - 50 % der 15- bis 40jährigen), doch Aids ist dort noch immer ein Tabuthema. So sterben die Leute offiziell an Begleiterkrankungen, die durch das geschwächte Immunsystem leichtes Spiel haben. Tuberkulose war die häufigste "Diagnose", die von den Frauen häufig ohne medizinische Ausbildung oder Material gestellt wurde. Wenn es den "Patienten" besonders schlecht geht, werden sie von den Home Based Care-Mitgliedern zu einem Krankenhaus getragen (andere Transportmöglichkeiten haben sie in den engen Gassen der Slums nicht), dort bleiben sie aber oft nur so lange wie unbedingt nötig, da das Geld für die Behandlung fehlt. Normalerweise kann Home Based Care aber wenig mehr tun, als die Kranken regelmäßig zu besuchen und mit ihnen zu sprechen. Daß dies auch sehr wichtig ist, erkannten wir, als wir mit einigen Frauen der Pflegegruppe kranke Menschen in Chaisa besuchten. Eine junge, alleinstehende Frau mit einem kleinen Kind, die seit drei Jahren krank an das Bett gefesselt ist, war überglücklich, daß sie Besuch aus dem fernen Deutschland bekam. Mit Tränen in den Augen bat sie uns, für sie zu beten.
Noch mit seltsamen Gefühlen im Bauch gingen wir dann zum Treffen mit der dritten Chaisa-Gruppe. Wieder standen wir im Mittelpunkt, wurden von den Menschen begeistert mit Gesang und Tanz begrüßt. Nach dem obligatorischen Essen stand der Hausherr auf und nahm spontan das Schmuckstück des Zimmers, ein in Kupfer gehauenes Bild, das eine afrikanische Frau auf dem Markt darstellte, von der Wand und gab es uns. "Das ist ein Geschenk für euren Chaisa-Kreis", erklärte er uns, "damit ihr immer an uns denkt." Uns fehlte vor Überraschung die Sprache.
Am nächsten Morgen sollten wir dann die "Klinik" der Mandevu-Gemeinde besuchen, und ich machte den Fehler, an eine europäische Klinik zu denken. So war ich relativ überrascht, als uns Romuald zu einen kleinen Raum neben der Kirche führte, an dem ich schon oft achtlos vorbeigelaufen war. Dort empfingen uns eine Krankenschwester des staatlichen Krankenhauses von Mandevu, die in ihrer freien Zeit in der Gemeinde aushilft, eine Frau mit ein wenig allgemeiner medizinischer Erfahrung und einige Laien. Das "Klinik-Personal" kann auch nur einfache Diagnosen stellen und mit wenigen Medikamenten behandeln: Malariamittel, Aspirin, Antibiotika und ein paar andere. Die Behandlung kostet die Patienten nur einen sehr geringen Betrag, für die Mittellosen ist sie gar kostenlos. So versucht die Gemeinde, allen Menschen zumindest eine notdürftige medizinische Versorgung gegen die häufigsten Gebrechen zu bieten.
Am Sonntag stand wieder eine heilige Messe auf dem Programm. In der Außenstation St. Don Bosco der Kazimva-Gemeinde, die Father Romuald auch betreut, wurde die Kirche vom Erzbischof Medardo Mazombwe eingesegnet. Der Gottesdienst selbst fand draußen vor dem Gebäude in der prallen Sonne statt. Während die Priester wieder unter einem schattenspendenden Strohdach saßen, gerieten wir während der zweieinhalbstündigen Zeremonie manchmal ganz schön ins Schwitzen. Auch den Gemeindemitgliedern war offensichtlich warm, doch für afrikanische Verhältnisse war die Messe noch nicht einmal besonders lang. Trotzdem waren die Leute natürlich glücklich, fortan im Schatten den Gottesdienst feiern zu können. Wieder einmal erlebten wir die typisch afrikanische Musik und die Tanzgruppen, und gegen Ende brachten die Gruppen der Gemeinde dem Bischof Geschenke nach vorne. Neben Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen trugen sie auch lebende Tiere zum Altar, Hühner und sogar Ziegen. Diese Dinge kann der Bischof dann an Bedürfitige verteilen. Wir jedenfalls fanden diese Mischung aus europäischer und afrikanische Kirchentradition ziemlich interessant.
Sonntag nachmittag kamen dann zwei Schwestern der "Daughters of the Redeemer (Töchter des Erlösers)" nach Mandevu, die Superior Mother (Generaloberin) Mary Rose und Schwester Matilda, die uns schon einmal in Lünen besucht hatte. Der Erzbischof hatte beschlossen, Schwestern dieses afrikanischen Ordens in das geplante Schwesternhaus von Chaisa zu senden. Wir waren sehr froh, daß wir schon einige Schwestern des Ordens kannten, der sich um unsere Partnergemeinde kümmern sollte. Father Romuald fuhr mit uns und den beiden Schwestern dann zum Chaisa Plot und erläuterte ihnen die Pläne für die Gemeinde. Am Abend waren wir dann bei den Schwestern zum Essen eingeladen, und selbst bei ihnen stand die Fußball-WM auf dem Programm, die wirklich auf der ganzen Welt die Menschen vor die Fernseher lockt. So sahen wir uns bei dem wirklich guten Essen ein Spiel an, besprachen dabei aber auch unsere zukünftige Zusammenarbeit in Chaisa. Schwester Matilda und Schwester Grace, die vor einiger Zeit in St. Norbert zu Besuch gewesen waren, erzählten wir dann Neuigkeiten aus unserer Gemeinde. Bis in den späten Abend unterhielten wir uns mit den Schwestern, dann fuhr uns die Superior Mother zurück nach Mandevu, denn über Nacht wurden bei den ummauerten Grundstücken die Tore geschlossen und Hunde herausgelassen. Schon um halb sieben wird es in Sambia dunkel, und dann ist es nicht mehr ganz ungefährlich, alleine durch die Straßen zu laufen.
Am Montag, einen Tag vor Monikas und Hedwigs Abreise, stand noch ein wichtiger Punkt auf dem Programm: Der Kalimba Reptile Park. Mit dem Vorstand des Pfarrgemeinderates von Chaisaa und Mandevu fuhr uns Romuald in die schöne Anlage, wo wir viele Arten von giftigen Schlangen, die in Sambia heimisch sind, beobachten kommen. Auch Chamäleons sahen wir und, wohl die Hauptattraktion des Reptile Parks, Krokodile in allen Größen. Die Krokodile lernten wir dann auch näher kennen, nämlich in Form von Fleisch in einem Croc-Burger-Brötchen. "Krokodilfleisch ist das beste Fleisch", hatte uns Romuald versprochen, und wir bereuten nicht das ungewöhnliche Mittagessen, das man uns in Kalimba servierte. Bevor wir die schöne Anlage verließen, in der wir einige Stunden verbracht hatten, gab es noch einen besonderen Nervenkitzel zu erleben. Ein Wärter holte aus der Schlangengrube eine drei Meter lange Python heraus, die wir uns dann um den Hals legen konnten. "Es ist nur eine Kleine", erklärte uns der Mann, der sich mit Schlangenbissen auskannte, wie wir an den Narben an seinem Arm erkannten. Er erklärte uns dann auch die Angriffsweise einer Würgeschlange und die Wirkung von Schlangengift, wie schnell man nach einem Biß ein Gegengift benötigt (häufig gibt es das in Sambia gar nicht, sondern nur in Simbabwe oder Südafrika), und wann es sowieso zu spät ist. "Bei deiner gefährlichen Arbeit müßtest du eigentlich mehr verdienen als dein Chef", bemerkte Roumald, doch der Wärter zuckte mit den Achseln. Solange er seinen Lohn bekomme und ein Gegengift habe, könne er auch mit den gefährlichen Schlangen leben. (Als "gefährlich" wird in Sambia sowieso nur eine Schlange mit tödlichem Gift bezeichnet, solange man einen Biß ohne Gegenmittel überlebt, ist das Tier "harmlos".)
Am Abend bot uns wieder der Main Choir (Hauptchor) der Gemeinde, der uns auch am Flughafen empfangen hatte, sein Können, und am nächsten Tag hieß es dann für Monika und Hedwig schon Abschied nehmen von unserer Partnergemeinde. Während Alexander und ich noch eine Woche in Sambia blieben, um mit Romuald Land und Leute noch besser kennenzulernen, machten sich die beiden Damen auf den Heimweg nach Deutschland. Bevor wir sie allerdings zum Flughafen brachten, "zwang" sie Romuald, sich noch an den tropischen Avocados und Papayas sattzuessen, die er in den vergangenen Wochen so oft für uns angerichtet hatte. "Im Flugzeug gibt es erst so spät Abendessen", erklärte er uns der Pfarrer, der uns die ganze Zeit über hervorragend bewirtet hatte, ganz zu schweigen von dem einmaligen Programm, das wir absolviert hatten.
Neben vielen herzlichen Grüßen an Pfarrer Klaus Hageböck und die St. Norbert-Gemeinde gab er den Frauen noch Namen, Fotos und Biographien von elf Vollweisen der Gemeinde mit. Er bat uns, für diese Kinder und Jugendlichen jemanden zu finden, der ihnen durch eine "spirituelle Adoption" die Schulbildung ermöglicht. In Sambia muß Schulgeld bezahlt werden (für die Grundschule etwa 10 DM im Monat, für die Sekundarstufe etwa 30 DM), und die Verwandten, bei denen diese Waisen unterkommen, können das vielleicht gerade mal für ihre eigenen Kinder aufbringen. "Wenn diese Kinder nicht weiter zur Schule gehen, haben sie keine Möglichkeit aus dem Elend herauszukommen", versicherte uns Romuald, "ich könnte euch 500 Namen von Vollweisen nennen, doch diese hier sind auch in der Kirche sehr engagiert. Es sind gute Leute, sie werden was aus ihrem Leben machen, wenn sie die Chance dazu bekommen." Er schlug uns vor, daß eine oder mehrere Familien, oder auch eine Gruppe der Gemeinde, ein Kind "adoptiert" und mit ihm auch persönlichen Briefkontakt hat. Die finanziellen Angelegenheiten sollten allerdings über ihn laufen, damit das Geld direkt zur Schule und nicht in die falschen Hände gelangt. "Es ist mir wirklich wichtig, daß diese Leute zur Schule oder Universität gehen", sagte uns der polnische Missionar, "sonst ist auch ihr Leben zerstört."
Während unserer letzten Woche in Sambia wollte Father Romuald uns noch einmal einige Schönheiten des Landes zeigen, und so fuhr er mit uns am Tag nach Monikas und Hedwigs Abreise nach Itezhi-Tezhi. Dies ist ein kleines Dorf "mitten im Busch", wie er uns erklärte. Father Bogdan, ein polnischer Missionar, den wir in Mandevu kennengelernt hatten, hatte uns eingeladen und bot uns auch eine Schlafgelegenheit im Pfarrhaus an. Die Autofahrt in den entlegenen Ort in der Nähe des Kafue Nationalparks, direkt am Kafue-Stausee, führte über Straßen, die - soweit überhaupt asphaltiert - so von Schlaglöchern übersät waren, daß man für die 360 km lange Strecke einen halben Tag benötigte und sich danach erst einmal eine Weile ausruhen mußte. Am nächsten Tag konnten wir dann die Hot Springs besichtigen, heiße Quellen, die ein bißchen Ähnlichkeiten mit denen in Island haben. Sie sind allerdings touristisch gar nicht erschlossen und liegen mitten in der Steppe. Nachmittags fuhren wir in den Nationalpark und sahen neben Elefanten in freier Wildbahn eine Anzahl weiterer afrikanischer Tiere, doch das "Abenteuer" begann erst, als wir mit dem Wagen im Sand steckenblieben. Wir schafften es gerade noch, vor Einbruch der Dunkelheit, die in Sambia sehr früh und schnell kommt, das Auto frei zu bekommen, und ließen uns so die Bekanntschaft mit nachtaktiven Raubtieren entgehen.
Am nächsten Tag nahmen wir auf der Rückfahrt nach Lusaka auch zwei Säcke Briefe aus dem Postamt mit. Postautos fahren auf der Strecke schon lange nicht mehr, Busse oder auch Privatfahrzeuge übernehmen diese Aufgaben, so daß die Briefe doch noch in die Hauptstadt und von da in den Rest des Landees gelangen können.
Samstags stand dann unser letztes offizielles Treffen auf dem Programm. Die Jugendlichen aus Chaisa und Mandevu boten uns als Mitgliedern der St. Norbert-Jugend wieder einmal ein tolles Programm aus Gesang, Tanz und Theater. Bei der anschließenden gemeinsamen Mahlzeit betonten sie: "Daß wir hier zusammen essen, ist ein Zeichen für die Zusammengehörigkeit von Chaisa und Mandevu mit Lünen." Um diese Verbindung zu erhalten, baten uns die Jugendlichen, für regen Briefkontakt zwischen den Partnergemeinden zu sorgen. Viele Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene gaben uns ihre Adressen, und wir versprachen ihnen, für sie nach Brieffreunden in St. Norbert zu suchen.
Nach dem Jugendtreffen besuchten wir zum letzten Mal Schwester Judyta im Altenheim Chawama, und am nächsten Tag verabschiedeten wir uns auch bei den Sisters of the Redeemer. Montags stand dann unser letzter Ausflug auf dem Programm: Mit uns und den Zwillingsschwestern Towela und Thandiwe aus Lusaka fuhr Romuald nach Siavonga an die Grenze zu Simbabwe, wo wir den Kariba-Staudamm besichtigten, der den Sambesi auf einer Länge von über 270 km zum Karibasee aufstaut, einem der größten menschengemachten Seen der Erde. Dort gingen wir trotz des etwas "kühlen" Wetters (ausnahmsweise waren am Himmel einmal Wolken zu sehen) schwimmen. Im Karibasee leben auch Krokodile und größere Fische, doch außer einer Schildkröte begegnete uns davon an diesem Tage nichts. Unter dem prächtigen Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre, fuhren wir abends zum letzten Mal zurück nach Mandevu, denn am nächsten Tag ging unser Flug nach Europa.
Der Trennung von unseren vielen Freunden, die wir in Sambia gefunden haben, fiel uns nicht leicht, als wir von einem Chor verabschiedet und dann zum Flughafen gebracht wurden. Mit Betreten des Jumbo-Jets befanden wir uns praktisch wieder in Europa, doch mit unseren Gedanken waren wir noch Tage später in Sambia. Romuald hat uns für das nächste Jahr schon eingeladen, im Kopf ein Dutzend Pläne für neue interessante und abenteuerliche Touren durch Afrika, und auch die Menschen unserer Partnergemeinde freuen sich darauf, uns bald wiederzusehen. Und wir werden auch nach Sambia zurückkehren, das ist so gut wie sicher.


Reiseberichte
Chaisa-Seite