Sechs Sekunden Grünphase

Durch einen Feiertag hatte ich Ende April ein langes Wochenende und somit genug Zeit für eine kleine Reise. Ich buchte einen Flug zur Insel Guam, und so verschlug es mich zum ersten Mal es in die wirkliche Südsee. Der Nachtflug dauerte nur gut drei Stunden, was ich in diesem Fall eher unpraktisch fand, denn so konnte ich die Flugzeit kaum zum Ausschlafen nutzen und kam tief in der Nacht an. Dort war ich dann auch (wie üblich) der einzige, der nicht von seinem Hotel abgeholt wurde, denn ich hatte vorher weder telefonisch noch per E-Mail ein Zimmer reservieren können. Trotzdem habe ich es (wie schon öfter auf meinen Reisen) darauf ankommen lassen und bin einfach so geflogen. Der nette Mensch an der Touristeninfo (klassisch im Hawaii- bzw. Guamhemd) konnte mir einige bezahlbare Hotels heraussuchen, und da es in Guam praktisch keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, durfte ich mir gleich noch ein Taxi dazu leisten. "Willkommen auf der Autofahrerinsel!" dachte ich mir, schon recht verwöhnt von den Zügen in Japan. So war ich ca. halb vier Uhr morgens im Hotel. Da der Check-in allerdings erst mittags möglich war, döste ich auf der Couch vor der Rezeption, bis die Sonne aufging, gab mein Gepäck ab und zog los, um die Insel zu erkunden. Das Südseeinselparadies lockte.

Dazu mußte ich zunächst eine sechsspurige Straße überqueren (und das auf einem Inselchen wie Guam) und stand nach einigen Metern an einem postkartentauglichen Strand, und das auch noch ganz allein. Das lag nicht nur an der frühen Uhrzeit, sondern auch daran, daß mein Hotel in Tamuning stand, die großen Touristenmassen sich aber üblicherweise in Tumon einquartierten. So war die Entscheidung für das günstigere Hotel doppelt gut. Abgesehen davon ist das Kreuzen der Straßen in belebteren Gegenden nicht unbedingt einfacher. Dort gibt es zwar zum Teil Fußgängerampeln, doch die Grünphase von 6 Sekunden (!) ist nicht nur für ältere Menschen recht knapp. Aber wer geht auf Guam schon zu Fuß, außer einem einsamen deutschen Individual(!)touristen?

Ich war trotzdem da, und so wanderte ich barfuß im Sand, vom Wasser des Pazifischen Ozeans umspült, nach Westen bis Agana, Hauptstadt (eher Städtchen) von Guam. Eine kuriose Sehenswürdigkeit dort war die Freiheitsstatue im Beach Park, zwar nicht so groß wie das Original, aber dafür mit Palmen im Hintergrund. Danach standen dann noch unter anderem das Dorf der Chamorro (so heißen die Ureinwohner der Marianen-Inseln), die Kathedrale mit einer sich drehenden Statue von Papst Johannes Paul II und der Latte Stone Park (mit uralten Steinsäulen) auf meinem Sightseeingprogramm. Direkt dahinter befand sich ein "Fallout Shelter", möglicherweise von den amerikanischen Atombombentests in der Region. Allerdings standen die Tore weit auf, und darin war nichts zu sehen. Leider hatte ich keinen Geigerzähler dabei, um die Strahlung zu überprüfen.

Also ging ich weiter und stieg, da es kürzer als die Straße war, direkt einen Hügel hinauf. Auf halbem Wege kam ich an einer Hütte vorbei, in der einige Männer beim Frühstück saßen, die mich gleich ebenfalls zum Essen einluden. Wir kamen schnell ins Gespräch (immerhin sprach man auf Guam Englisch, wenn auch mit einem starken Inselakzent), und so verbrachte ich einen netten, geselligen Morgen mit einer wirklich internationalen Runde (Palauaner, Chamorro, Philippino, Halb-Koreaner und US-Amerikaner), die alle für den Gouverneur der Insel arbeiteten (hinter dessen Villa wir gerade saßen), die meisten als Klempner.

Später wollte ich meine Inseltour fortsetzen und ging an der Gouverneursvilla vorbei Richtung Straße. Kurz davor hielt mich allerdings ein Wachmann an und wollte wissen, was ich auf dem Gelände zu suchen hätte. Die Situation erinnerte mich stark an das Treffen damals mit der Palastwache in Muscat/Oman. Was mache ich nur falsch? Ich erklärte dem Security, daß ich auf dem Weg zum Fort Santa Agueda den Hügel heraufgestiegen sei und auch keinen Zaun oder irgendein Schild gesehen hätte. Daß ich den gesamten Vormittag im Garten des Gouverneurs mit seinen Klempnern gefrühstückt hatte, erwähnte ich lieber nicht. Als argloser Tourist machte ich wieder erfolgreich einen harmlosen Eindruck. Trotzdem wollte der Mann meinen Pass sehen. Ich zeigte ihm lieber meinen Internationalen Studentenausweis, womit er sich auch zufrieden gab, und durfte dann gehen.

Ein paar hundert Meter weiter war ich dann am Fort Santa Agueda mit einem tollen Ausblick über Agana, dann folgte ich der Straße noch ein ganzes Stück bis ich endlich das Meer erreichte. Nach einer verdienten Pause mit kühlem Eis konnte ich die Gegend, in der ich gelandet war (Adelup Point), näher erkunden. Es gab u.a. ein Gouverneursgebäude (GovGuam) und die Überreste einer japanischen Festung, wo man 1944 den landenden Amerikanern Widerstand geleistet hatte. In Teile der Höhlenbunker konnte man sogar noch hinein kriechen. Von Adelup Point wanderte ich weiter am einsamen Strand entlang zum "War in the Pacific Park", wo eine der größten Landungsaktionen der Amerikaner stattgefunden hatte. Hier bestieg ich einen nahe gelegenen Hügel und fand auf der Spitze im Dschungel einen getarnten japanischen Schießstand ("Pillbox"). Die Soldaten damals müssen wirklich klein gewesen sein, ich konnte kaum in die Pillbox hineinkriechen.

Inzwischen war es schon späterer Nachmittag, und ich machte mich auf den Rückweg. Nach der anstrengenden Sightseeing-Wanderung erreichte ich schließlich den Beach Park, wo ich Julius, den Gouverneursklempner vom Frühstück, wieder traf. Er saß mit einigen Freunden und Verwanden auf der Wiese, und ich wurde gleich auf ein Bier eingeladen. Wie am Morgen wurde ich sofort allen vorgestellt ("This is Markus, my friend from Germany"), und es gab reichlich zu Trinken und Essen. Wir verbrachten gemeinsam einen langen, netten Abend. Die Gastfreundschaft der Insulaner war umwerfend, und ich mußte versprechen, bald wiederzukommen, diesmal für mehr als einen Tag. Das wahre Guam und seine Bewohner gefielen mir wirklich gut.

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