Neujahr wie Weihnachten

In den letzten Jahren war ich zu Silvester fast nie in Deutschland, aber ein japanisches Neujahrsfest wie ich diesmal erlebte, unterscheidet sich doch deutlich von allem, was ich bisher gesehen hatte.

Zunächst sah es sogar so aus, als ob die Silvesterfeier für mich ganz ausfallen würde, obwohl die Japaner anlässlich des neuen Jahres ganze drei Tage Urlaub haben. Deshalb flogen praktisch alle meine ausländischen Freunde in wärmere Gefilde zu einem Strandurlaub, während die japanischen Bekannten in ihre Heimatorte zu ihren Familien fuhren. Neujahr ist hier ein ähnliches Familienfest wie bei uns Weihnachten.

Schließlich hatte ich aber doch Glück, denn mein Chef lud mich und meine Freundin (die am 30.12. nach Japan gekommen war) zu sich nach Hause ein. Das ist nicht nur zu Silvester eine Ehre, denn normalerweise feiern Japaner fast ausschließlich in Restaurants oder Kneipen, da die durchschnittliche japanische Wohnung selten Raum für viele Gäste bietet.

So kamen wir also in den Genuss einer japanischen Silvesterfeier, die natürlich mit etwas Kulinarischem begann. Die Taniguchis tischten ein umfangreiches Büffet an für Europäer recht ungewohnten Spezialitäten auf: Es gab zumeist rohen Fisch und Tintenfisch, zu einer elastisch- gummiartigen Masse (Konyaku) verarbeitete Süßkartoffeln, Tofu in verschiedensten Variationen, mit echtem Blattgold verfeinerte Bohnen und noch andere Dinge, die ich selbst in neun Monaten in Japan noch nicht kennengelernt hatte. Das einzig warme auf dem Tisch war der Sake-Reiswein, der im Sommer kalt und im Winter heiß getrunken wurde.

Kurz vor Mitternacht wurde dann noch - wie in praktisch jedem Haus im Lande - eine traditionelle japanische Nudelsuppe serviert, die langen Soba-Nudeln darin sollen ein langes Leben symbolisieren.

Dann machten wir uns zu Fuß auf den Weg zu einem Tempel, den wir aber erst nach Mitternacht erreichten. Das machte allerdings keinen Unterschied, denn um zwölf Uhr knallten weder Sektkorken, noch wurde Feuerwerk gezündet (das gibt es in Japan nur im Sommer). Der Jahreswechsel in Japan verläuft erstaunlich ruhig.

Trotzdem standen dort wahre Menschenmassen an, reinigten sich symbolisch mit Wasser aus einem Brunnen und Rauch von Räucherstäbchen, um danach zumindest einmal kurz in den Tempel hineinzugehen und um Glück im neuen Jahr zu bitten.

Wir blieben etwas länger im wunderschönen Inneren des Tempel und genossen die Ruhe, bevor wir uns wieder nach draußen in die Kälte begaben. Dort erstanden wir an einem Verkaufsstand einen kleinen Umschlag mit einer Vorhersage für das kommende Jahr, die für uns "ganz gut, aber nicht extrem gut" (genauer konnte Prof. Taniguchi das nicht übersetzen) aussah. Um dem Glück noch mehr auf die Sprünge zu helfen, knoteten wir das Papier zu hundert anderen an Leinen, die um den Tempel gespannt waren.

Anschließend machten wir uns mit dem Zug auf den Heimweg, denn die Neujahrsnacht ist die einzige im Jahr, an der die Züge bis zum Morgen durchfahren, also auch in dieser Hinsicht eine ganz besondere Nacht.


zurück
Fischbüffet

Markus





Tempeleingang



Im Tempel